Die zweite Familie in Te Puke:
Ein Vorwort:
Mein letzter Artikel (Aj und die Geschichte des begrabenen Archäologen) beschäftigte sich mit meiner Arbeit auf der Kiwi Plantage in Te Puke und den Menschen, welche ich dort kennen lernte.
Während dieser Phase meiner Reise war jedoch nicht nur die Begegnung mit den Maoris beachtlich und einschneidend.
Nikesh und Sawitri, über die ich dir in diesem Artikel erzählen möchte, sind zwei Personen, die mich ebenso wie AJ geprägt und während meiner Reise begleitet haben.
Wer sind Nikesh und Sawitri?
Nikesh ist der Manager der Kiwi-Plantage und war somit mein Vorgesetzter.
Sawitri ist Nikeshs Lebensgefährtin.
Wir (Colin, Eva, Siyar und ich) lebten während unserer Zeit in Te Puke bei den beiden und verbrachten somit viel Zeit miteinander.
Wie es dazu kommt, dass man, während man auf der größten Kiwi Plantage der Welt arbeitet, bei dem Mananger der Plantage in der Garage lebt?
Colin und Eva die mir den Job verschafften, trafen eines Tages Kesh auf einem Campingplatz. Kesh ist der Vater von Nikesh und gleichzeitig der Contracter für das gesamte Projekt. Keshs Aufgabe
ist es also, neue Arbeiter für diese Plantage unter Vertrag zu nehmen.
Nach kurzer Zeit bot Kesh Colin und Eva einen Job an. Da die beiden jedoch kein Auto hatten und die Plantage etwas außerhalb der Stadt lag, fragten die beiden, ob es eine Möglichkeit gäbe, in der
Nähe dieser unterzukommen.
Kesh arrangierte darauf ein Treffen mit Nikesh und Sawitri, die in einem Haus direkt an der Kiwi Plantage leben.
Nikesh und Sawitri stimmten zu, Colin und Eva für einige Wochen aufzunehmen.
Da mir die Möglichkeit zuteil wurde, auch für Kesh arbeiten zu können, „rutschte“ ich sozusagen auch in die Wohnsituation herein und lebte dort für einige Wochen.
Bevor wir einzogen, wollte uns Sawitri jedoch erst einmal kennenlernen.
Sie zeigte uns das Haus und sprach mit uns, um ein gutes Wohnverhältnis zu gewährleisten.
Zudem lernten wir ihre drei Kinder kennen.
Enzo, Season und Maja.
Die drei waren zu Beginn unglaublich schüchtern und rannten die ersten zwei Wochen konsequent vor uns weg.
Die Gesamtsituation empfand ich in den ersten Tagen als etwas komisch.
Von Sawitri erfuhren wir, dass Nikesh eigentlich gar nicht so viel Lust hatte, dass irgendwelche deutschen Backpacker nach der Arbeit noch in seinem Haus herumgeistern. Sie betonte, wie wichtig ihm es sei, nach der Arbeit abzuschalten und dass er etwas introvertiert sei.
Kesh habe ihn jedoch überredet, uns aufzunehmen.
Nicht gerade das, was man hören möchte, um sich willkommen zu fühlen.
Ich konnte seine Ansichten jedoch gut nachvollziehen. Jeder Mensch muss mal abschalten und nach der Arbeit immer noch mit seinen Angestellten konfrontiert zu werden, die man nicht einmal richtig kennt, kann schon nervend sein.
Die ersten Tage tastete man sich also vorsichtig ab und schaute, ob die Wohnsituation funktioniert. Zudem lernte man sich kennen und führte erste persönlichere Gespräche.
Vier Tage nachdem wir eingezogen waren feierte Sawitri ihren Geburtstag.
Sie lud uns ausdrücklich zu den Feierlichkeiten ein, was mich persönlich sehr freute, da dies eine weitere Möglichkeit war, sich besser kennen zu lernen.
Stellt man sich die Situation kurz vor und bedenkt, dass ich auf einer Geburtstagsfeier von einer Frau war, die ich seit vier Tagen kannte und alle Gäste mir vollkommen fremd waren, versteht man vielleicht, dass ich die ersten Minuten dort stand wie bestellt und nicht abgeholt.
Ich führte erste Smalltalk-Gespräche mit ein paar sehr netten Gästen, wusste jedoch noch nicht genau, wie die Situation einzuordnen war.
Man möchte bloß nicht zu aufdringlich sein, da man alle kaum kennt und selber nicht so genau weiß, warum man eigentlich hier ist. Auf der anderen Seite möchte man jedoch auch nicht zu zurückhaltend sein, da man sich auch freut, dort zu sein und die Möglichkeit bekommt, neue Menschen kennen zu lernen.
Ich überlegte mir gerade, wie ich einen Spagat zwischen diesen beiden Verhaltensweisen hin bekomme, als Kesh ankam und mir ein Bier in die Hand drückte.
Damit war all das Grübeln beendet.
Ein Bier in die Hand gedrückt bekommen: Ein viel klareres Zeichen, dass man willkommen ist und sich wohlfühlen kann, gibt es für einen Deutschen ja nicht.
Wir stießen an, setzten uns mit allen Gästen in einen Kreis auf den Boden, aßen korean BBQ und unterhielten uns.
Nikesh und seine Eltern stammen ursprünglich aus Nepal, Sawitri und ihre Familie aus Thailand.
Während meiner Reise gibt es sehr oft Momente, in denen man sich mit Fremden aus einer vollkommen anderen Kultur austauscht und unterhält.
Diese Augenblicke sind wirklich interessant und erweitern Stück für Stück das Weltbild, das man bis dahin hatte. Als jüngerer Mensch, der gerade erst dabei ist, die Welt etwas kennen zu lernen, ist dieses Bild manchmal etwas eingeschränkt.
Es wird einem also ermöglicht, über seinen Tellerrand zu schauen und etwas komplett Neues kennen zu lernen oder bereits bekannte Eindrücke zu erweitern.
Ein durchweg schönes Gefühl.
Besonders intensiv unterhielt ich mich mit Sawitris Mutter. Diese erzählte mir über ihre Jugend, wie sie in einem ärmlichen Dorf in Thailand aufwuchs und über ihre Eltern. Sie beschrieb ihre
Eltern als die großzügigsten Menschen, die sie kennt. Menschen, welche stets alles, was sie besaßen, mit den Dorfbewohnern teilten. Sie erzählte mir viel über den Buddhismus und was sie aus
dieser Religion schöpft.
Diese Frau beeindruckte mich sehr. Selten habe ich eine so bescheidene, ausgeglichene und gutherzige Frau getroffen. Sie schien mir mit sich selbst vollkommen im Reinen zu sein.
Zudem behandelte sie uns, obwohl Sie uns gerade erst kennen gelernt hatte, als wären wir langjährige Freunde.
Auch Wochen nach dem Geburtstag kam Sie oft vorbei und ließ keine Gelegenheit aus, um uns mit thailändischem Essen zu verwöhnen.
Nach diesem Tag wurde das Verhältnis zu allen Familienmitgliedern besser und besser.
Wir unterhielten uns immer öfter über Gott und die Welt, tauschten uns über kulturelle Unterschiede
aus und feierten zusammen bis spät in die Nacht.
Sawitri kochte manchmal für uns, wir aßen oft zusammen und fühlten uns wohler und wohler.
Nach zwei Wochen merkte man deutlich, dass die Kinder sich an uns gewöhnt hatten.
Sie sprangen nun immer zwischen uns herum und wollten, dass wir mit ihnen spielten und Zeit mit ihnen verbrachten. Wir schlossen die kids sehr ins Herz.
Auch die Beziehung zu Nikesh verbesserte sich.
Mit der Zeit unterhielten wir uns mehr und mehr. Er berichtete mir, dass er Fußball spielt und öfter Workouts macht. Als er mir von seinem Plan erzählte, ein kleines Gym in der Garage aufzubauen,
packte ich prompt mit an und half ihm, die Geräte aufzubauen.
Von diesem Tag an, gingen wir nach der Arbeit zusammen zum Fußballtraining und pumpten in der Garage.
Nach etlichen Wochen endlich wieder richtig Fußball spielen zu können, war ein unbeschreibliches Gefühl.
Nikesh spielte bei der nepalesischen Bay of Plenty Mannschaft.
Als ich ihn also begleitete, war dies für Außenstehende ein ziemlich lustiger Anblick.
20 Nepalesen und in der Mitte: eine deutsche Kartoffel.
Die Jungs nahmen mich jedoch ab der ersten Sekunde mit offenen Armen auf und waren unglaublich freundlich.
Ich spielte beim ersten Training mit meinen Laufschuhen, welche gleichzeitig jedoch als Arbeitsschuhe fungierten und während der Zeit in Neuseeland schon ziemlich gelitten hatten.
Wer jemals schon mal Fußball mit Laufschuhen auf einem Naturrasen gespielt hat weiß, dass sich diese Kombination nicht so gut verträgt. Ich rutschte gefühlt 90% der Spielzeit weg, hatte aber
trotzdem meinen Spaß.
Als ich beim zweiten Training die Jungs begrüßte, hielten diese mir grinsend brandneue Fußballschuhe in meiner Schuhgröße entgegen.
Einem Fremden nach dem ersten Training direkt neue Fußballschuhe zu besorgen.
Diese Geste rührte mich und ich bedankte mich tausend mal.
Die restlichen Wochen mit den Jungs machten sehr viel Spaß und ich genoss den sportlichen Ausgleich zur Arbeit.
Mit Nikesh und Sawitri verstand ich mich auch immer und immer besser.
Wir wuchsen zu einer kleinen Familie zusammen und unternahmen zusammen mit den Kids kleine Ausflüge.
Das Verhältnis war so gut, dass Nikesh mir sogar anbot, Enzos Patenonkel zu werden.
Ich überlegte ernsthaft das Angebot anzunehmen, kam jedoch zu dem Schluss, dass ich der Verantwortung dieses Postens nicht nachkommen könnte, wenn ich wieder zurück in Deutschland bin.
Diese Frage zeigte mir aber, wie gut das Verhältnis mittlerweile geworden war.
Nach zwei gemeinsamen Monaten wurde es dann jedoch Zeit weiterzuziehen und den Rest Neuseelands zu erkunden.
Der Abschied viel dieses Mal besonders schwer.
Man verstand sich mittlerweile sehr gut, hatte eine gute Beziehung zu den kids und fühlte sich dort zu Hause.
Abschiede sind jedoch ein fester Bestandteil der Reise und so brachen wir auf.
Ich stehe jedoch immer noch mit Nikesh in Kontakt und wir schreiben regelmäßig.
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